Benelux soll europäische militärische Avantgarde sein
Verteidigung Die Einstimmigkeit unter den EU-Mitgliedern steht einer starken europäischen Verteidigung im Weg, schreiben Kees Nederlof und Joris Voorhoeve. Eine Benelux-Koalition mit Deutschland und Frankreich könnte die Obstruktionisten überwinden.
Russlands Krieg gegen die Ukraine wirft für Europa drängende Sicherheitsfragen auf. Die revanchistische Vision des Kremls bedroht auch andere Staaten. Die Länder der Europäischen Union sind sich jedoch bei weitem nicht einig darüber, welche Aufgaben die EU im Bereich der militärischen Sicherheit wahrnehmen soll. Es gibt keine einheitliche Außenpolitik und keine starke militärische Position. Obwohl die EU über mehr personelle und wirtschaftliche Ressourcen verfügt als die Vereinigten Staaten und Russland, gelingt es ihr nicht, in Sicherheitsfragen eine klare Linie zu verfolgen.
Kees Nederlof ist ehemaliger Botschafter für nukleare Sicherheit. Joris Voorhoeve ist ein ehemaliger Verteidigungsminister.
Der französische Präsident Macron setzt sich seit langem für eine „strategische Autonomie“ der EU ein und will weniger Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten. Doch das ist vorerst Wunschdenken, denn die EU baut keine strategischen Abschreckungsstreitkräfte auf. Es besteht keine Bereitschaft, die kleinen Atomstreitkräfte Frankreichs (und Großbritanniens – außerhalb der Union) in eine europäische Abschreckungsstreitmacht umzuwandeln. Die Befürworter einer „europäischen Verteidigung“ hatten lange Zeit keine bessere Alternative, als sich in hohem Maße auf die nordamerikanischen NATO-Mitglieder (die USA und Kanada) zu verlassen. Die USA verfügen bei weitem über die größten militärischen Ressourcen aller freien Länder. Sie haben das Sagen und verfügen über die ultimative Abschreckung.
Die europäischen Mitgliedstaaten können jedoch eine größere Rolle bei der konventionellen Verteidigung spielen. Zumindest muss die Verteidigungspräsenz in den östlichen EU-Staaten verstärkt werden, und die Verteidigungshaushalte vieler Mitglieder müssen erhöht werden. Einige Länder haben dies bereits zugesagt, müssen es aber noch mit Leben füllen. Diese Bemühungen müssen aufeinander abgestimmt werden. Und hier stoßen wir auf den Kern des Problems für die EU: die Einstimmigkeit im Verteidigungsbereich. Das bedeutet, dass jedes EU-Mitglied Entscheidungen verzögern, verwässern oder blockieren kann. Auch in der NATO ist Einstimmigkeit erforderlich, aber sie wird in der Regel erreicht. In der EU gibt es Länder, die lange Zeit blockieren und die EU schwächen.
Dieses implizite Verteidigungsveto sollte abgeschafft oder umgangen werden. Die Überarbeitung des EU-Vertrags ist der Königsweg dazu, bietet aber keine Aussicht auf eine schnelle Lösung. Sie würde langwierige Verhandlungen bedeuten, und jedes Land, das ein Referendum abhält, könnte ein Ergebnis erneut torpedieren.
Koalition der EU-Länder
Warum also nicht ein spezielles europäisches Gremium innerhalb der NATO? Dies wurde bereits mehrfach versucht, scheiterte jedoch am Veto der Türkei. Aber vielleicht könnte eine Koalition williger EU-Mitglieder einen zusätzlichen Vertrag (oder zunächst eine politische Vereinbarung) abschließen, der die Entscheidungsfindung von EU und NATO verbindet. Eine „strategische Koordinierungsgruppe EU-NATO“ sollte in der Lage sein, mit qualifizierter Mehrheit, statt einstimmig zu entscheiden. Diese Beschlüsse würden dann für die noch freiwilligen Teilnehmer gelten.
Dieses Gremium sollte natürlich allen EU-Mitgliedern offenstehen, die bereit sind, die Verpflichtungen zu übernehmen. Es sollte die vorhandenen EU- und NATO-Ressourcen so weit wie möglich nutzen. Will irgendein EU-Mitglied weiterhin blockieren? Die Länder, die anpacken wollen, sollten dann einfach standhaft bleiben und die Nachhut zurücklassen.
Manche sagen, die EU habe bereits eine solche Institution: Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Bereich Verteidigung und Sicherheit (PESCO) wurde 2017 ins Leben gerufen. PESCO ist eine Erweiterung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber es fehlt ein echter Verteidigungsplanungsprozess und die Fähigkeit, angesichts einer dringenden Bedrohung durch eine rechtzeitige Entscheidung über den Einsatz von Truppen für Abschreckung zu sorgen. Außerdem wird die Entscheidungsfindung erneut durch das Erfordernis der Einstimmigkeit behindert.
Deutsch-französische Zusammenarbeit
Die Einrichtung einer neuen Koordinierungsgruppe bedeutet keinen Bruch mit der Vergangenheit. Frankreich und Deutschland haben mit dem Aachener Vertrag 2019 gezeigt, dass eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit außerhalb des EU-Vertrags durchaus möglich ist.
Eine strategische Koordinierungsgruppe EU-NATO auf freiwilliger Basis könnte viele Vorteile mit sich bringen. Das EU-Mitglied Schweden, das aufgrund türkischer Forderungen mit dem NATO-Beitritt warten muss, könnte bereits jetzt in eine solche Gruppe aufgenommen werden. Dies würde das türkische Veto etwas abschwächen. Andere EU-Mitglieder, die nicht der NATO angehören, könnten ebenfalls auf einer themenbezogenen Basis eingeladen werden.
Die kleineren europäischen Demokratien können nicht endlos auf eine stärkere Verteidigungszusammenarbeit hoffen.
Das Machtgleichgewicht in der Welt verändert sich rasch. Chinas Einfluss könnte weiter zunehmen, und Russland wird wahrscheinlich zurückgehen. Während die USA manchmal in ihrer Führungsrolle schwanken, zögert Deutschland, das Ruder in der EU-Sicherheit zu übernehmen, hat sich das Vereinigte Königreich in eine etwas einsame Position gebracht, während Frankreich zwar führen will, es aber nicht allein kann. Die Türkei hemmt den Fortschritt der EU innerhalb der NATO, und Ungarn verlangt, dass die Kritik an ihm zuerst geschluckt wird.
Aber sollten wir jedes Mal abwarten? Europas kleinere Demokratien können nicht endlos auf eine Einigung zwischen den Großen oder auf das Entgegenkommen eines kleineren Blockierers hoffen, denn eine stärkere Verteidigungszusammenarbeit wird sich nicht von selbst ergeben. In dieser unsicheren, multipolaren Welt braucht die EU eine Koalition aus einigen großen und kleinen Mitgliedern, die bereit sind, die Führung zu übernehmen. Ohne die USA zu verprellen.
Benelux-Initiative
Die drei Benelux-Länder Niederlande, Belgien und Luxemburg sollten prüfen, ob sie nicht gegenüber Berlin und Paris eine Initiative zur Schaffung einer solchen Koalition der Vorreiter ergreifen könnten. Es gibt bereits das Erste Deutsch-Niederländische Armeekorps, die Benelux-Flottenkooperation, die Luftwaffenkooperation und das Eurokorps. Viele Bausteine für ein Sicherheitsabkommen zwischen einigen europäischen Ländern sind bereits vorhanden.
Wenn sich ein starkes Plädoyer für eine Frontgruppe durchsetzt, werden andere nicht zurückbleiben wollen. Auch die baltischen Staaten und z.B. das aktive Polen sind es leid, auf eine stärkere Zusammenarbeit in der EU und der NATO zu warten. Die Tür muss für andere offen sein, solange die beitretenden Staaten die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit akzeptieren. Natürlich müssen auch verfassungsrechtliche Fragen über die Stellung der Parlamente bei verteidigungspolitischen Entscheidungen geklärt werden. Diese sind von Land zu Land unterschiedlich. Aber wo ein Wille vorhanden ist, können praktische Wege gefunden werden.
Europa muss eine stärkere Position im multipolaren Machtsystem einnehmen, um seine Werte und Interessen zu vertreten. Präsident Macron, Bundeskanzler Scholz und auch andere Regierungschefs haben dazu viele schöne Reden gehalten. Aber keiner von ihnen hat genau gesagt, wie das geschehen soll. Wenn die Benelux-Staaten mit gutem Beispiel vorangehen wollen, kann das Vetorecht in der Verteidigungszusammenarbeit, unter dem die EU leidet, umgangen werden. Als Vorhut können sie der Kitt sein, der die größeren Teilnehmer Frankreich und Deutschland bindet und eine multilaterale politische Basis für eine solide europäische Verteidigungsrolle schafft.